Mit dem Urteil des EuGH vom 28.11.2024 (C-293/23) wird die Frage eröffnet, ob Kundenanlagen künftig der Netzregulierung unterliegen.

Betreiber von Kundenanlagen könnten als Netzbetreiber eingestuft werden. Die EU-Mitgliedstaaten sind laut EuGH zur Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung der EltRL verpflichtet, den Begriff Verteilernetz ausschließlich unter Bezugnahme auf die beiden einzigen in Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie vorgesehenen Kriterien zu definieren. Dabei handelt es sich zum einen um das Kriterium der Spannungsebene, zum anderen um das Kriterium der Kategorie von Kund:innen, an die der Strom weitergeleitet wird.

Folge des Urteils
Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht davon ausgehen, dass eine bestimmte Art von Netz aufgrund „zusätzlicher Kriterien“ vom Begriff des Verteilernetzes auszunehmen ist. Das heißt, dass die im deutschen Recht in § 3 Nr. 24a EnWG definierten Kundenanlagen mit dem einheitlich anzuwendenden und auszulegenden europäischen Begriff des Verteilnetzes nicht zu vereinbaren ist.

Der EuGH geht von einem sehr weiten Netzbegriff aus (rein „technischer“ Netzbegriff). Aus dem Verständnis dieses rein technischen Netzbegriffes folgt, dass ein Unternehmen, das eine Energieanlage betreibt, die zur Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel oder Niedrigspannung zwecks Belieferung von Großhändlern oder Endkunden dient, zwingend ein Verteilernetzbetreiber sei.

Ausnahmen laut EuGH (u.a.)
• „Bürgerenergiegemeinschaft“ nach Art. 16 EltRL
• „kleine Verbundnetze“ oder die „kleinen isolierten Netze“ nach Art. 66 Abs. 1 EltRL
• bestimmte Einzelfälle nach Art. 32 Abs. 5, 33 Abs. 5, 35 Abs. 4 und 36 Abs. 2 EltRL

Konsequenz für die Praxis
Zunächst gilt das nationale Recht (§ 3 Nr. 24a EnWG) in aktueller Fassung. Die Gerichte (EuGH und BGH) haben keine Normenverwerfungskompetenz. Dennoch ist der deutsche Gesetzgeber angehalten, die entsprechenden Normen anzupassen. Erst nach dieser Änderung verlieren die bislang geltenden Normen ihre Regelungsgültigkeit. Eine Kundenanlage ist nach der EltRL eine unzulässige Ausnahme. Es gilt daher zu klären, ob jeder Betreiber einer Kundenanlage auch ein Netzbetreiber ist.

Ausgehend von diesem Urteil verweigern derzeit einiger Orts Verteilnetzbetreiber die Genehmigung neuer Kundenanlagen sowie deren Anschluss an das jeweilige Netz. Auch das Bereitstellen der erforderlichen Zählpunkte bleibt aus. Andererorts genehmigen Verteilnetzbetreiber Kundenanlagen unter Vorbehalt oder aber, wenn die Kundenanlage auf einem Grundstück steht und lediglich ein Gebäude mit unter 100 Wohneinheiten versorgt. Diese Lage gilt es zeitnah zu klären. Neben dem BGH beschäftigt sich auch das BWMK sowie einige Referate und Beschlusskammern der BNetzA – sowohl im Zugangs- als auch im Entgeltbereich – derzeit mit dem Fortgang der Meinungsbildung und eventuellen Handlungsoptionen.

Relevante Fragen und Aktivitäten
Für den Moment sollten sich Betreiber sogenannter Kundenanlagen unter anderem mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen:

• Versorgt die Kundenanlage nur ein einzelnes Gebäude oder mehrere Gebäude?
• Handelt es sich um eine Kundenanlage oder um mehrere baulich getrennte Kundenanlagen?
• Welche Auswirkungen entstehen für den Betreiber, wenn die Kundenanlage als de minimis Micronetz oder als „großes“ Netz eigestuft und damit regulierungspflichtig wird?

Hier finden Sie die Meldung der BNetzA und hier das EuGH-Urteil (C-293/23) (externe Links).

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Der BGH hat am 12.11.2019 zwei Fälle (EnVR 66/18 und EnVR 65/18) zur Quartiersversorgung mündlich verhandelt und noch am gleichen Tag entschieden. Unsere Juristischen Beiräte von der Kanzlei Günther aus Hamburg haben die in diesen beiden Verfahren tätigen Contracting-Anbieter vertreten und berichtet, dass der BGH in seinen mündlichen Ausführungen während der Gerichtsverhandlung zwar einerseits Positives, anderseits aber auch Negatives zum Umfang einer Kundenanlage geäußert hat.

Positiv sei, dass der BGH erkennen lässt, den Verlauf einer öffentlichen Straße durch ein Quartier in der Regel als eher unschädlich für die Bejahung einer Kundenanlage anzusehen. Die Rechtsanwälte der Kanzlei Günther erwarten insoweit von den in Kürze vorliegenden schriftlichen Entscheidungsbegründungen mehr Rechtssicherheit für den Quartiersbegriff bei der dezentralen Stromversorgung mit PV- und/oder KWK-Mieterstrom.

Deutlich negativ sei indes, dass der BGH sich zumindest während der mündlichen Verhandlung am 12.11.2019 noch nicht näher zu der Frage geäußert hat, wie groß denn nun eine Kundenanlage sein dürfe. Er ließ lediglich erkennen, dass nach seiner Ansicht ab einer gewissen Größe eine Kundenanlage zur netzlosen Mieterstromversorgung selbst dann ausgeschlossen sei, wenn die Lieferantenwahlfreiheit sichergestellt werde. Aus diesem Grund hat der BGH den beiden größeren Quartieren, die vorliegend im Streit standen, den Status als Kundenanlage verwehrt, während der andere Fall als Kundenanlage bestätigt wurde.

– Kommentar Dr. Dirk Legler, Rechtsanwälte Günther Partnergesellschaft , Hamburg

Die fraglichen Entscheidungen finden sie hier und hier. (externe Links)

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